Es duftet verführerisch nach scharf angebratenen Melanzani und Paprika, abgeschmeckt mit einer Prise Meersalz, reichlich Knoblauch und etwas Chili. In der nächsten gusseisernen Pfanne brutzeln saftige Hendl-haxen, ebenfalls auf einem offenen, leicht rauchigen Holzfeuer. Daneben köcheln aromatische Kochbananen in Kokosöl. Und ein paar Meter weiter schälen flinke Hände Kakaobohnen aus unterarmgroßen Früchten fürs Sorbet.
Die weitläufige überdachte Open-Air-Küche des einstigen Herrenhauses der Roça São João dos Angolares ist die Bühne von João Carlos Silva. Der eloquente Maître de Cuisine kennt keine Berührungsängste und ruft die hungrigen Gäste zu den Pfannen. In Portugal moderierte er sogar eine eigene Kochshow im Fernsehen. „In sehe mich eher als Botschafter denn als Chefkoch – ein Botschafter von São Tomé und Príncipe, meiner geliebten Heimat.“ Und die sollte man eher spüren, fühlen und schmecken, als sie rational verstehen zu wollen.
„Komm, riech doch einmal diesen Kakao aus dem Regenwald!“, sagt Carlos lachend. „Das ist São Tomé! Das ist Afrika.“ Sein Konzept überzeugt, ein Hoffnungsträger, der Mut macht. Neben seinem Restaurant, das als das Beste der Insel gilt, vermietet der Selfmademan auch ein paar Zimmer auf dem Anwesen und unterhält ein Kulturzentrum in der nahen Hauptstadt. Sonst betreibt er seit zwei Jahrzehnten biologische Landwirtschaft. Slow Food im besten Sinne des Wortes.
Ausgesprochen slow geht es sonst meist zu im zweitkleinsten Land Afrikas irgendwo mitten im Atlantik. Nur die Seychellen auf der anderen Seite von Mama Afrika im Indischen Ozean sind noch ein bisschen kleiner. Die Hauptinsel São Tomé schafft es knapp auf die doppelte Größe von Wien, Príncipe ist sogar etwas kleiner als Innsbruck. Leve-Leve heißt das Motto am Äquator – langsam, langsam. Das hat durchaus seinen Reiz für die wenigen, oft gestressten Urlauber aus Europa, die den Weg auf die vulkanischen Eilande mit ihrer üppigen tropischen Vegetation und den menschenleeren Bilderbuchstränden finden. Das kann aber auch Probleme bereiten. Insbesondere dann, wenn die knappen Urlaubstage durchstrukturiert sind und Dinge nicht so funktionieren, wie sie eigentlich sollten. Und das passiert öfter einmal und hat Tradition.
Mit dem Abzug der Kolonialmacht Portugal und dem Aufbruch in die Unabhängigkeit 1975 verfiel das Land in eine bleierne Agonie. Anstatt die beiden landschaftlich bezaubernden Fleckchen Erde mit ihren reichen natürlichen Ressourcen in eine prosperierende Zukunft zu führen, haben es die Politiker gründlich vermasselt. Wie so oft in Afrika – ein trauriger Mix aus Vetternwirtschaft, Inkompetenz, Korruption und Machtbesessenheit. Kaum vorstellbar, dass das kleine Land einst der größte Kakaoproduzent der Welt war. Vor sich hinrostende alte Maschinen aus dem Spillingwerk Hamburg oder dem Trockenapparatebau Bebra legen noch heute Zeugnis davon ab. Längst sind die Dächer der Produktionshallen eingefallen. Den Krankenhäusern der Roças, der großen Landwirtschaftsbetriebe, erging es nicht besser. Irgendwann war die letzte Medizin verbraucht, das letzte Leintuch verschlissen. Heute streunen Hunde durch die leer geräumten Krankenhaussäle.
Nach über vier Jahrzehnten Misswirtschaft nun ein zarter Streif am Horizont: Kleine Kooperativen entstehen hier und da in der Privatwirtschaft. Sie produzieren hochwertigen Biokakao für den Export nach Frankreich.
Dahinter stecken in der Regel charismatische Unternehmerpersönlichkeiten, die über den Tellerrand hinausblicken und wirklich etwas voranbringen im Leve-Leve-Land. Einheimische wie Starkoch Carlos Silva etwa oder der „Mann vom Mond“. So nennen die Insulaner Mark Richard Shuttleworth ehrfurchtsvoll. Der südafrikanische IT-Millionär war der zweite Weltraumtourist überhaupt und der erste Afrikaner im All. Mit einem 20-Millionen-Dollar-Ticket ließ sich der Single und Afronaut, wie er scherzhaft am Kap genannt wird, 2002 von den Russen zu den Sternen katapultieren.
Doch erst nach dem Weltraumabenteuer fand er seinen ganz persönlichen Himmel auf Erden. Eine neue Liebe von vollkommener Schönheit, geboren im Schoße des Atlantiks, 31 Millionen Jahre alt: Príncipe! Ein Juwel aus schwarzer Lava, über und über bewachsen mit dichtem Regenwald, dem Lebensraum zahlreicher Vögel, viele endemisch. Seit 2012 Unesco-Biosphärenreservat, seit Menschengedenken paradiesisch, umgeben von goldgelben Stränden, in denen man morgens nur eine Fußspur entdeckt: nämlich die eigene vom Abend zuvor. Eine kleine Insel mit gerade einmal 5000 Bewohnern, die in ein paar Hundert wackligen Holzhäusern leben. Richtig los ist eigentlich nur an einem Sonntag etwas, wenn sich die gläubigen Christen zum Gottesdienst in den kleinen Kirchen versammeln. Die Nossa Senhora da Conceição in der verschlafenen Hauptstadt Santo António ist die vermutlich schönste von allen. Ein Postkartenmotiv par excellence in ihren erdfarbenen Tönen.
Industrie gibt es keine, industrielle Landwirtschaft auch nicht, die Menschen arbeiten auf kleinen Feldern und im Dschungel, ernten Kakao, Maniok, Kokosnüsse, sammeln Feuerholz. An den Strand verirrt sich eigentlich niemand, außer vielleicht einmal ein paar Kinder und Fischer. Und Touristen.
Mit diesem Wissen erfüllte sich der Mann vom Mond einen weiteren Traum: Verantwortung für dieses Refugium des Unberührten und für seine Bewohner zu übernehmen. Vor allem den Kindern Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen. Aber auch Arbeitsplätze zu schaffen für die Eltern. Beides ist inzwischen Realität geworden. Die Wasserversorgung wurde spürbar verbessert und rund einhundert Einheimische stehen allein in seinem Bom Bom Resort in Lohn und Brot. So heißt die stilvolle kleine Anlage auf einer malerischen Landzunge. 19Holzbungalows schmiegen sich elegant in den Regenwald. Robinson-Feeling auf gehobenem Niveau. An die einhundert Millionen Dollar soll der Unternehmer, der auch diverse Bildungsprojekte in seiner Heimat, Südafrika, finanziert, nun schon auf Príncipe verbaut haben. Ein Großteil davon floss in die Restaurierung der Roça Sundy. Vor Kurzem öffnete die ökologisch angehauchte Luxusherberge ihre Pforten. Bei der betuchten Kundschaft aus Übersee dürfte das koloniale Ambiente jedenfalls gut ankommen.
Ob nun im gehobenen Ambiente oder in einem einfachen Guesthouse, die Chancen für ein paar ganz besondere Tage stehen bestens. Denn in ihrer atemberaubenden Schönheit können es sowohl Príncipe als auch São Tomé ganz locker mit ihren karibischen Schwestern jenseits des Atlantiks aufnehmen.
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