FERNREISEN OHNE SCHLECHTES GEWISSEN - GEHT DAS? [PREMIUM]

Eine Fernreise für sechs Tage. Zahlt sich das denn überhaupt aus, fragen Kolleginnen. Warum ich da überhaupt überlege, meinen wiederum Freunde. Ist das eine Klimasünde und in heutigen Zeiten überhaupt noch zu verantworten, frage ich mich. Wenn es ums Fliegen und besonders um Langstrecken geht, sind die meisten Menschen mittlerweile recht schnell mit ihrem Urteil. Die einen sind „Team Individuum“ und wollen sich noch etwas gönnen, bevor die Welt zugrunde geht. Für die Rettung derselben sei es ihnen zufolge „eh schon zu spät“. Die anderen vermeiden Reisen in die Ferne rigoros und scheuen sich auch nicht davor, Flugscham zu verbreiten.

Wer an Mauritius denkt, dem kommen wohl in erster Linie weiße Traumstrände und üppige Regenwälder in den Sinn. All das gibt es in dem Inselstaat auch. Wer sich genauer informiert, weiß aber, dass die Korallen langsam verbleichen, die Strände schwinden und der Dschungel unter ungewöhnlichen Wetterphänomenen leidet. Schuld ist, zumindest zum Teil, die Luxushotellerie. Viele Urlauber blieben während der Coronapandemie zu Hause, auch das schlechte Gewissen hielt etliche davon ab, in den Flieger zu steigen. Für Mauritius, das zum Großteil vom Tourismus lebt, eine ökonomische Katastrophe. Ein Wandel musste her. Der Inselstaat will nachhaltiger werden und Gästen die Möglichkeit auf einen Luxusurlaub ohne enormen ökologischen Fußabdruck bieten. Aber ist das überhaupt möglich?

Ressourcen schonen

Etliche Hotels haben sich in den letzten Jahren dem Nachhaltigkeitsgedanken verschrieben. In manchen funktioniert es besser als in anderen. Golfclubs wie das Fünf-Sterne-Resort Heritage Awali im Südwesten müssen sich freilich einer besonders großen Verantwortung stellen. Für die möglichst ressourcenschonende Bewässerung der Anlage wird Regenwasser gesammelt und wiederverwertet. Dass das Hotel von den Lebenswelten vieler Mauritier dennoch weit entfernt ist, zeigt sich in den Erfahrungen der Mitarbeitenden. Viele von ihnen halten im Resort zum ersten Mal einen Tennis- oder Golfschläger in der Hand. Luft nach oben gibt es also – Papier, Plastik und Glas werden hier aber recycelt.

Das Einsparen von großen Mengen an Plastik hat dem Vier-Sterne-Boutiquehotel Lagoon Attitude an Mauritius’ Nordküste den „Tourism Award“ der EU eingebracht. Bereits das Begrüßungsgetränk wird in einer abgeschnittenen Bierflasche gereicht, die zu einem Glas umfunktioniert wurde. Wer diese Kunst des „Upcycling“ erlernen möchte, kann im hoteleigenen „Marine Discovery Center“ einen entsprechenden Workshop machen und etwa eine Tragetasche aus einem ausgedienten T-Shirt basteln. Eine gut gefüllte Minibar suchen Gäste im Hotel vergebens. Sie können sich Snacks und Getränke im „Bulk Shop“ in Glasbehälter abfüllen und mit auf ihre Zimmer nehmen. Auf einem eigens abgesteckten „Schnorchel Trail“ kann das Korallenriff in der Lagune bewundert werden – allerdings nur gegen das Versprechen, dass der herumtreibende Müll eingesammelt wird. Ob der ökologische Fußabdruck durch einen Aufenthalt im Lagoon Attitude tatsächlich messbar kleiner wird? „An der Erhebung dieser Daten arbeiten wir gerade fieberhaft“, sagt Hotelmanager Rubens. Ziel sei es letztlich, den Gästen eine Fernreise nach Mauritius zu ermöglichen, ohne dass der Planet den Preis dafür zahlt.

Natur vermitteln. Auch bei den Einheimischen zeigt sich ein Umdenken. „Das Interesse an unmotorisierten Aktivitäten ist in den letzten Jahren massiv gestiegen“, sagt Yan, Gründer von „Yanature“, einem Expeditionsunternehmen, das unter anderem Wanderungen im Nationalpark Black River oder in der Umgebung der berühmten Wasserfälle von Tamarin anbietet. Auch die Halbinsel Le Morne Brabant ist da­runter – für viele Mauritier ein Symbol der Freiheit. Von dem dort in die Höhe ragenden Monolithen sollen sich im 19. Jahrhundert geflüchtete Sklaven aus Angst vor herannahenden Polizisten in den Tod gestürzt haben. Sie konnten nicht ahnen, dass die Wachleute ihnen das Ende der Sklaverei verkünden wollten. Geschichten wie diese will Yan seiner Kundschaft mitgeben. Aber auch die Weitervermittlung von Wissen über endemische Pflanzen und Tiere auf der Insel ist ihm wichtig. Wer Glück hat, kann einige von ihnen auf den Wanderungen beobachten, etwa die rosa Taube, deren Bestand durch den Einsatz einzelner Umweltschützer von 20 wieder auf 400 Tiere angestiegen ist.

Lebensraum zurückgeben

Auch der Delfinbestand in der beliebten Tamarin Bay im Westen ist durch die dortigen Wasseraktivitäten massiv zurückgegangen. Yan will eine Petition für unmotorisierten Verkehr in der Bucht starten, um den Tieren ihren Lebensraum zurückzugeben. Die Hotels in der Gegend stellen ihre Angebote ebenfalls vermehrt um und konzentrieren sich dabei wieder auf ihre Wurzeln: Statt mit dem Motorboot können Gäste des Drei-Sterne-Hotels Veranda Tamarin die Bucht auch mit dem Kajak oder dem Katamaran erkunden. Auf dem Areal des Community-unterstützten Resorts befindet sich auch eine der bekanntesten Surfschulen auf Mauritius, die sich in letzter Zeit über vermehrtes Inte­resse am Wellenreiten freut. Mitgründer Cyril ist eine Galionsfigur der mauritischen Surfszene. Die aktuellen Entwicklungen geben ihm Hoffnung auf einen besseren Umgang mit seiner geliebten Bucht, in der sich jeden Abend zu Sonnenuntergang Einheimische und Hotelgäste vermischen, um den blutroten Himmel über dem Meer zu bestaunen.

„Den ökologischen Fußabdruck auszugleichen, das ist unser Ziel.“

Dennoch ist nicht alles rosig. Der Klimawandel zeichnet Mauritius trotz aller Bemühungen. Seit ungefähr fünf Jahren bemerken die Einheimischen einen deutlichen Rückgang der Strände. „Das Meer frisst sich immer weiter ins Land hinein“, erzählt Adrien, Tour Guide bei den „Taste Buddies“, einer Organisation, die Streetfood-Touren in Gran Bay, Port Louis und Mahebourg anbietet. „In den letzten drei Jahren hat das Wetter verrückt gespielt“, fügt er hinzu. Drei Viertel des Regenwassers auf der Insel würden dabei ungenutzt ins Meer fließen. Die entsprechenden Zisternen fehlen – eine Verfehlung der Regierung, auf die er generell nicht gut zu sprechen sei.

Auch bei der Ölpest von 2020, bei der der japanische Tanker MV Wakashio vor der mauritischen Küste auf ein Riff aufgefahren ist, habe es zu wenig Unterstützung von öffentlicher Seite gegeben, kritisiert der junge Mann. Dass von der Umweltverpestung heute nichts mehr zu bemerken ist, sei einzig und allein der Bevölkerung zu verdanken. Die hätte aktiv zusammengeholfen, um den Schaden einzudämmen, etwa indem sie abgeschnittene Haare nutzten, um das ausgetretene Heizöl aufzusaugen. Fachleuten zufolge werden die Auswirkungen auf Fauna und Flora dennoch noch jahrzehntelang zu spüren sein. Mit freiem Auge ist von der Umweltkatastrophe aber nichts mehr zu bemerken. Mauritius ist wieder voller Farbe, Leben und Freude. Für die Einheimischen beginnt nun ein Wettlauf gegen die Zeit, damit es auch so bleibt.

2023-01-26T14:14:41Z dg43tfdfdgfd